Die Sache mit dem Kon­sent

Immer wieder erleben Frauen sexuelle oder gewaltvolle Übergriffe durch GynäkologInnen.

Seit acht Jah­ren beschleicht mich die­ses unan­ge­neh­me Gefühl im War­te­zim­mer mei­ner Gynä­ko­lo­gin. Jedes Mal, wenn sich die Türe zum War­te­zim­mer öff­net, schaue ich alar­miert auf – habe Angst, das Gesicht des Man­nes zu sehen, der mir vor eben die­sen acht Jah­ren ohne zu fra­gen, ohne etwas zu sagen, sei­nen Fin­ger anal ein­ge­führt hat. In die­sen acht Jah­ren habe ich ihn, der die Pra­xis mit mei­ner neu­en Gynä­ko­lo­gin teilt, viel­leicht zwei oder drei Mal wie­der gese­hen, wenn er eine Pati­en­tin auf­rief, anlä­chel­te und zur Unter­su­chung abhol­te. Und trotz­dem fängt mein Herz jedes Mal wie wild an zu klop­fen, ich wen­de mei­nen Blick schnell ab und hof­fe, dass er mich nicht bemerkt und erkannt hat. 

Ich war Anfang Zwan­zig, als ich auf der Suche nach einem Gynä­ko­lo­gen die Web­sei­te die­ses Arz­tes emp­foh­len bekom­men hat­te. Der Mann war nett, unter­such­te mich ruhig und plau­der­te mit mir. Was er tat, kom­men­tier­te er nicht. Aber da es nicht mein ers­ter Besuch in einer gynä­ko­lo­gi­schen Pra­xis war, wuss­te ich, was mich erwar­te­te. Und dann geschah es.

Nach der vagi­na­len Unter­su­chung spür­te ich plötz­lich einen Schmerz am Anus und es nahm mir schier die Luft als mir klar wur­de, dass die­ser Mann gera­de ohne jeg­li­chen Kon­sent oder Erklä­rung mit sei­nem Fin­ger in mich ein­drang.

In mei­nem Kopf war es leer, ich erstarr­te – liess die Unter­su­chung über mich erge­hen und flüch­te­te dann aus der Pra­xis. Die Erklä­run­gen über mei­nen Gesund­heits­zu­stand sowie den Gruss zum Abschied nahm ich kaum mehr wahr. 

Ich liess das Erleb­te sacken, fühl­te mich miss­braucht, fühl­te Scham, wuss­te, dass so eine Unter­su­chung nicht in Ord­nung war, zwei­fel­te gleich­zei­tig an mir, zwei­fel­te an mei­nem Gefühl und ermahn­te mich selbst, dass die­ser Arzt schon wis­sen wür­de, was er tat. Die Stim­me in mei­nem Kopf schalt mich, wegen so etwas ein Dra­ma zu machen. Sie wies mich an, mich zusam­men­zu­neh­men, gab mir den­noch die Erlaub­nis, zu sei­ner weib­li­chen Kol­le­gin, die mit ihm die Pra­xis teil­te, zu wech­seln. Dort wur­de ich nie wie­der so unter­sucht. Was mein Bauch­ge­fühl nicht bes­ser mach­te. 

Blin­de Fle­cken

Heu­te bin ich als Dou­la Geburts­be­glei­te­rin und in der Geburts­vor­be­rei­tung tätig und kom­me mit vie­len Frau­en in Kon­takt, die mir berich­ten, dass ihre Gren­zen im Rah­men von gynä­ko­lo­gi­schen Unter­su­chun­gen oder auch wäh­rend der Geburt nicht respek­tiert wur­den. Zu sehen, wie vie­le Frau­en regel­rech­te Trau­ma­ta davon­tra­gen, dass ohne Kon­sent ein­zu­ho­len, Din­ge mit ihnen gemacht wur­den, macht mich wütend.

Noch nie war der Dis­kurs über sexu­el­le Beläs­ti­gung und Gewalt so all­täg­lich. Über­all auf der Welt spre­chen Frau­en über ihre Erleb­nis­se mit Sexis­mus und gehen auf die Stras­se, wenn Ver­ge­wal­ti­gungs­op­fern die Mit­schuld an ihrem Trau­ma gege­ben wird. Und doch habe ich den Ein­druck, dass wir alle wei­ter einen blin­den Fleck haben, wenn Gewalt unter der Geburt geschieht, wenn Ärz­te ihre Gren­zen über­schrei­ten, in dem Frau­en vor schmerz­haf­ten oder inti­men Ein­grif­fen nicht infor­miert und gefragt wer­den, oder wenn wäh­rend gynä­ko­lo­gi­schen Ein­grif­fen Din­ge gesche­hen, die bei der Pati­en­tin ein ungu­tes Gefühl hin­ter­las­sen.

Eine Inbox vol­ler Schmerz und Scham

So beschloss ich, mein eige­nes Schwei­gen zu bre­chen und dar­über zu spre­chen, dass mir ein Arzt sei­nen Fin­ger anal ein­ge­führt hat­te und dar­über, dass ich bis heu­te nicht weiss, wie ich die­sen Fin­ger deu­ten soll. Und ich frag­te mei­ne mei­ne Com­mu­ni­ty auf Insta­gram, ob sie eben­falls über­grif­fi­ge Erfah­run­gen im Rah­men von gynä­ko­lo­gi­schen Unter­su­chun­gen oder Behand­lun­gen gemacht hat­ten.

Spoi­ler: Sie hat­ten. 

Noch nie füll­te sich mei­ne Inbox so schnell. Auf mei­nen Auf­ruf wur­de wie­der und wie­der von ande­ren Blog­gern hin­ge­wie­sen und so hagel­te es Erleb­nis­se und Geschich­ten von kras­sen Grenz­über­schrei­tun­gen, von Gewalt unter der Geburt, von Gas­light­ing und von Situa­tio­nen, in denen sich Ärz­tIn­nen über Pati­en­tin­nen lus­tig gemacht oder sie nicht ernst genom­men hat­ten. 

Mit 16 woll­te ich mir die Pil­le ver­schrei­ben las­sen und bin des­halb zu einer Gynä­ko­lo­gin gegan­gen. Bei der Unter­su­chung bemerk­te die Ärz­tin Gebär­mut­ter­hals­krebs im 3. Sta­di­um und begann mich dies­be­züg­lich mit Infor­ma­ti­on zu über­flu­ten. In mei­nem Schock ver­stand ich kaum, was sie sag­te und nahm alles wie durch einen Schlei­er hin­durch wahr. Die Ärz­tin mein­te, dass es wich­tig sei, das Gewe­be abzu­knip­sen. Sie drang mit einer Art Greif­zan­ge in mei­nen Kör­per ein und begann damit, die befal­le­nen Zel­len abzu­n­kip­sen. Ich war voll­kom­men unvor­be­rei­tet und hat­te unglaub­li­che Schmer­zen. Ich bin wei­nend, ver­stört, vol­ler Schmer­zen und abso­lut auf­ge­löst aus der Pra­xis und woll­te nie mehr einen Schritt in eine gynä­ko­lo­gi­sche Pra­xis set­zen. Mir wird erst jetzt klar, wie sehr mich die­ses trau­ma­ti­sche Erleb­nis auch sexu­ell nega­tiv beein­flusst hat.Tama­ra

Ich war vor eini­gen Jah­ren bei einem Uro­lo­gen in einer Kli­nik zur einer Bla­sen­spie­ge­lung. Ich hat­te furcht­ba­re Angst, da ich sowie­so in die­sem Bereich mei­nes Kör­pers ziem­lich emp­find­lich bin und so eine Unter­su­chung bis dato auch nie hat­te. Die Arzt­hel­fe­rin hat die Unter­su­chung vor­be­rei­tet, mir alles in Ruhe erklärt und mich etwas beru­higt. Dann kam der Arzt. Er kam schnell und hek­tisch in den Raum, ver­brei­te­te Unru­he, rede­te kaum und begann direkt mit der Spie­ge­lung. Ich ver­krampf­te total, weil er mich so über­rum­pel­te und es dadurch immer unan­ge­neh­mer wur­de. Er for­der­te mich aggres­siv auf, mich bit­te zu beru­hi­gen und ver­dreh­te die Augen und mein­te, er kön­ne so nicht arbei­ten. Die Dame ver­such­te mich zu beru­hi­gen, doch ich konn­te mich ein­fach phy­sisch nicht ent­span­nen und krampf­te wei­ter. Er führ­te die Bla­sen­spie­ge­lung und die anschlies­sen­de Anal­un­ter­su­chung (um zu prü­fen, ob die Schließ­mus­kel funk­tio­nie­ren) qua­si gewalt­voll durch. Seit die­sem Tag ist für mich jeder Frau­en­arzt-Besuch ein ner­ven­auf­rei­ben­der Ter­min, wo ich im War­te­zim­mer vor Angst fast in den Ohn­macht fal­le.Anonym

Ich hab eine neue Gynä­ko­lo­gin gesucht in Schaff­hau­sen und mir wur­de von einer Freun­din eine Ärz­tin emp­foh­len. Ich ging da hin und sag­te aus­drück­lich, dass ich ein fri­sches sexu­el­les Trau­ma hat­te und des­halb mehr Sicher­heit beim Unter­su­chen wün­sche. Ich woll­te, dass sie mir erklärt, was sie tut und Kon­sent bei mir ein­holt. Die Ärz­tin hat mich ange­schaut, als wäre das ein abso­lut abge­ho­be­ner Wunsch. Ich kam mir vor, als wäre das gan­ze Trau­ma mei­ne Schuld und als sei ich kom­pli­ziert. Sie hat die Unter­su­chung stan­dard­mäs­sig durch­ge­führt, ohne etwas zu sagen oder nach Kon­sent zu fra­gen.Anonym

Ich brauch­te meh­re­re Tage, um mich durch die Flut an Nach­rich­ten zu arbei­ten, dabei emo­tio­nal sta­bil zu blei­ben und mir zu über­le­gen, wie ich wei­ter vor­ge­hen wür­de. Zudem erhielt ich eine Hand­voll Nach­rich­ten von Frau­en, die mich auf­hor­chen lies­sen, wie die von S. Acker­mann: “Ich war das ers­te mal bei einem Arzt für eine Jah­res­kon­trol­le. Alles nor­mal abge­lau­fen, bis er mir auf ein­mal – ohne Vor­war­nung – den Fin­ger anal rein­ge­scho­ben hat. Ich hab auf­ge­schrien, bin so erschro­cken. Er mein­te dann nur: “Hat man das noch nie bei Ihnen gemacht?” Habe nur mit Nein geant­wor­tet und war nie wie­der bei die­sem Arzt”. Die­se Art von Unter­su­chung war also nicht nur mir pas­siert, aber alle Frau­en, die mich kon­tak­tier­ten, hat­ten die­sen inva­si­ven Ein­griff als eben­so über­grif­fig erlebt wie ich. Wei­ter bekam ich Nach­rich­ten von jun­gen Gynä­ko­lo­gin­nen, die mir erklär­ten, so nie­mals unter­su­chen zu wür­den.

Wich­tig­keit der Kom­mu­ni­ka­ti­on

Ich kon­tak­tier­te die Schwei­ze­ri­sche Gesell­schaft für Gynä­ko­lo­gie und Geburts­hil­fe, kurz SGGG, um mich von offi­zi­el­ler Sei­te dar­über zu infor­mie­ren, ob die­se ana­len Unter­su­chun­gen zu einer nor­ma­len Jah­res­kon­trol­le dazu­ge­hö­ren dür­fen. “Frü­her war das immer Stan­dard und im Stu­di­um wur­de es uns vor dreis­sig Jah­ren auch noch so ver­mit­telt.”, bestä­tigt mir Tho­mas Eggi­mann, Gene­ral­se­kre­tär der SGGG mei­nen Ver­dacht. Ziel die­ser Unter­su­chung sei­en Befun­de zwi­schen Vagi­na und End­darm wie zum Bei­spiel infil­tra­ti­ve Endo­me­trio­se oder auch um tie­fe Rekt­um­kar­zi­no­me zu fin­den. Eggi­mann ver­steht die Tat­sa­che, dass es mir und eini­gen ande­ren Frau­en nach die­ser Unter­su­chung unwohl war als Bei­spiel für die enor­me Wich­tig­keit der Kom­mu­ni­ka­ti­on in sei­nem Fach: “Die Gynä­ko­lo­gie ist intim-inva­siv und des­halb soll­ten die Frau­en immer wis­sen, was pas­siert bei einer Unter­su­chung”. Die SGGG hat auf ihrer Web­sei­te ein Merk­blatt zum The­ma ver­öf­fent­licht, auf dem das Ver­hal­ten gegen­über Pati­en­tIn­nen klar defi­niert ist

Bei einer Jah­res­un­ter­su­chung in der Frau­en­per­ma­nence hat mich der Gynä­ko­lo­ge zuerst gefragt, wie ich ver­hü­te. Als ich ihm ant­wor­te­te, mit Kon­dom zu ver­hü­ten, sag­te er, ich müs­se aber schon auf­pas­sen, “weil er möch­te kein wei­nen­des Meit­li vor sich sit­zen haben, wenn ich schwan­ger wer­de”. Ich war 27. Dann sag­te er: „Sie kön­nen sich hin­ter der Wand aus­zie­hen, Sie müs­sen kei­nen Strip vor mir machen.“ War mir unan­ge­nehm, aber ich habe auch nichts gesagt.Anonym

Ich war bei einem Frau­en­arzt in Stef­fis­burg. Bei der letz­ten Unter­su­chung frag­te ich ihn eini­ges über die Spi­ra­le, da ich die Ver­hü­tung wech­seln woll­te. Ich sag­te ihm, dass ich Respekt davor habe, die Spi­ra­le ein­zu­set­zen, da ich viel Schlech­tes dar­über aus mei­nem Umfeld gehört habe. Da mein­te er nur, mei­ne Kol­le­gin­nen soll­ten sich nicht so anstel­len. Der Ein­griff daue­re ja nur eini­ge Sekun­den. Als ich kurz dar­auf auf dem Stuhl sass für die vagi­na­le Unter­su­chung und er mit dem Metall­teil ein­drin­gen woll­te, war ich anschei­nend etwas ange­spannt. Da mein­te er nur, dass ich mich schon mehr ent­span­nen soll­te, so wür­de das mit der Spi­ra­le sowie­so nichts wer­den. Es klang so, als wäre ich die ein­zi­ge Frau auf der Welt, die nicht genug chil­len kann in so einem Moment.Fabi­en­ne

Auf­grund von Bla­sen­ent­zün­dung woll­te mei­ne Uro­lo­gin immer mit­hil­fe eines Röhr­chens Urin direkt aus der Bla­se bekom­men. Trotz bewuss­ter Ent­span­nung habe ich dabei höl­li­sche Schmer­zen und mich ent­schie­den, das nicht mehr machen zu las­sen. Sie ist seit­dem sehr abwer­tend zu mir und meint ich sei „die, die sich immer so anstellt“. Auch das fin­de ich ein­fach über­grif­fig. Aller­dings ist es in jedem Fall mein Kör­per.Anonym

In jedem Fall Hil­fe holen

Die Pati­en­tIn­nen­stel­le Zürich emp­fiehlt in jedem Fall, sich bei Unwohl­sein nach einer Behand­lung bei ihnen zu mel­den. Mario Fass­hau­er erklärt, dass die Stel­le sol­chen Fäl­len nach­ge­he. “Wir neh­men in einem sen­si­blen Erst­ge­spräch die Pro­ble­ma­tik durch eine medi­zi­nisch aus­ge­bil­de­te Fach­per­son auf. Im Anschluss prü­fen wir die Indi­ka­ti­on der Behand­lung anhand der Schil­de­run­gen der Pati­en­tIn­nen. Wei­ter­hin prü­fen wir auch for­ma­le Aspek­te wie bei­spiels­wei­se den Behand­lungs­ver­trag, die Auf­klä­rung der Pati­en­tIn­nen und die Ein­wil­li­gung. Die medi­zi­ni­sche Beur­tei­lung ist ein Kern­ele­ment bei uns.”, so Fass­hau­er. Ziel der Beur­tei­lung sei immer auch, ob ein straf­recht­li­ches Fehl­ver­hal­ten vor­lie­ge. 

Obwohl mir vie­le Frau­en von offen­sicht­lich über­grif­fi­gen Behand­lun­gen berich­te­ten, erstat­te­te nur eine ein­zi­ge Anzei­ge. Auch ich hat­te kein ein­zi­ges Mal einen Gedan­ken dar­an ver­schwen­det, die­se unan­ge­neh­me Jah­res­kon­trol­le auf Fehl­ver­hal­ten hin abzu­klä­ren.

Lei­der zei­gen aktu­el­le Vor­fäl­le wie das Urteil vom Appel­ati­ons­ge­richt Basel, dass das Schwei­zer Straf­recht Opfer von sexu­el­len Über­grif­fen nicht genug schützt.

So erklärt Alex­an­dra Mül­ler von der Frau­en­zen­tra­le die Ten­denz, dass sol­che Über­grif­fe bei kei­nem Gericht lan­den.

Den­noch rät Mül­ler Betrof­fe­nen juris­tisch gegen Ärz­tin­nen und Ärz­te vor­zu­ge­hen. “Die Hemm­schwel­le für eine Straf­an­zei­ge ist selbst­ver­ständ­lich hoch, aber es ist wich­tig, dass man schnell han­delt, da Sexu­el­le Beläs­ti­gung als Über­tre­tung nach einem Jahr und die Stra­fe dafür nach drei Jah­ren ver­jährt” ‚so Mül­ler. Die Frau­en­zen­tra­le Zürich rät, sich bei Unwohl­sein an eine Opfern­hil­fe­stel­le zu wen­den – auch wenn es sich um kei­nen sexu­ell über­grif­fi­gen Unter­such han­delt.

Eini­ge Tage vor der Geburt führ­te mei­ne Gynä­ko­lo­gin eine Eipol­lö­sung durch — ohne jeg­li­che Auf­klä­rung oder Vor­war­nung. Im Kran­ken­haus wur­de ich, nach­dem ich Cyto­tec zur Ein­lei­tung vehe­ment abge­lehnt habe, äus­serst respekt­los behan­delt und war bei Ärz­ten und Heb­am­men unten durch. Ich wur­de wäh­rend den Press­we­hen von der Heb­am­me aus­ge­lacht, in eine lie­gen­de Posi­ti­on gezwun­gen, gekristel­lert, und danach ohne loka­le Betäu­bung genäht. Auf der Wochen­bett­sta­ti­on wur­de ich für den Gewichts­ver­lust von mei­nem Baby ver­ant­wort­lich gemacht, das Stil­len wur­de mir (auch auf wie­der­hol­tes Bit­ten hin) nie gezeigt, und ich wur­de von der Schwes­tern öfter grob zurecht­ge­wie­sen. Furcht­bar.

Karin

Mei­ne Nie­der­kunft ver­lief zunächst ganz toll. Ich erin­ne­re mich, wie glück­lich ich dar­über war, so gut mit den Wehen zurecht­zu­kom­men. Als ich in der Press­pha­se war, rie­fen die Heb­am­men mei­nen Beleg­arzt dazu. Er kam her­ein, mach­te als ers­tes das grel­le Licht an, gab mir geschäf­tig die Hand zum Gruss, obwohl ich gera­de inmit­ten einer Press­we­he war und befahl sofort, dass man die Glo­cke bereit­le­gen soll­te. Ich habe nicht ver­stan­den, was gera­de pas­siert. Der Arzt führ­te mir die­ses Vaku­um-Dings ohne Vor­war­nung ein und riss mir mein Baby aus dem Leib. Auch im Nach­ge­spräch mit der Heb­am­me konn­te mir nie­mand erklä­ren, ob es nur ansatz­wei­se eine medi­zi­ni­sche Not­wen­dig­keit für den Ein­griff gab. Die Art und Wei­se wie die­ser Ein­griff gesche­hen ist, hat mir das Ver­trau­en aber total genom­men.Anonym

Bei der Geburt mei­nes Kin­des wur­de irgend­wann ent­schie­den, dass ich einen Kai­ser­schnitt brau­che. Man berei­te­te mich in dem OP-Raum vor und ich sag­te immer wie­der, dass mei­ne Nar­ko­se nicht wirk­lich funk­tio­nier­te. Man nahm mich nicht ernst. Noch nie habe ich sol­che Schmer­zen gehabt, wie da, als man mir wäh­rend der Geburt mei­nes Kin­des den Bauch auf­schnitt.  Meri­am H.

Auch ich beschloss, die Opfern­hil­fe zu kon­tak­tie­ren und mich zu erkun­di­gen, was Betrof­fe­ne tun kön­nen, die nicht sexu­ell über­grif­fig unter­sucht wur­den son­dern anders­ar­ti­ge geschlechts­spe­zi­fi­sche Gewalt in einem medi­zi­ni­schen Kon­text erfah­ren haben, so eben auch Gewalt unter der Geburt.

Die Opfern­hil­fe Zürich kann mir kei­ne Ant­wort geben, und teilt mir mit, dass ihnen kein ein­zi­ger Fall der Gewalt unter der Geburt bekannt ist. Kein ein­zi­ger.

Vie­le mei­ner Kli­en­tin­nen enga­gie­ren mich gera­de des­halb als Geburts­be­glei­te­rin, weil sie ihre vor­he­ri­gen Gebur­ten als trau­ma­tisch erleb­ten – teil­wei­se eben auch, weil in den Spi­tä­lern Din­ge gesche­hen, wel­che von den Frau­en als gewalt­voll erlebt wer­den. Immer wie­der mache ich aber die Erfah­rung, dass die Erleb­nis­se die­ser Frau­en abge­wer­tet und die Ein­grif­fe gerecht­fer­tigt wer­den – als dürf­ten die Gren­zen einer Frau mit Wehen ein­fach nie­der­ge­mäht wer­den.

Feh­len­des Bewusst­sein über Gewalt unter der Geburt

Dass aber die Opfern­hil­fe in Zürich noch nie mit einem sol­chen Fall zu tun hat­te, scho­ckier­te mich. Im ver­gan­ge­nen Jahr hat die Ber­ner Fach­hoch­schu­le eine Stu­die ver­öf­fent­licht, die auf­zeigt, dass min­des­tens jede vier­te Frau von infor­mel­lem Zwang unter der Geburt betrof­fen ist, was etwa 20’000 Frau­en in der Schweiz pro Jahr zu Betrof­fe­nen machen wür­de. Ich wer­te dies als wei­te­ren Beweis dafür, dass das Bewusst­sein dafür, was Gewalt ist und wie oft Gewalt Frau­en in frau­en­spe­zi­fi­schen Kon­tex­ten betrifft, kaum vor­han­den ist. So auch unter den Frau­en selbst, die mit ihren Trau­ma­ta ein Leben lang still und lei­se leben. 

Moni­ka Di Bene­det­to ist selbst auch Dou­la und führt den Ver­ein Roses Revo­lu­ti­on, der sich gegen die Gewalt in der Geburts­hil­fe ein­setzt. Sie reagiert wenig über­rascht, als ich ihr berich­te, dass der Opfern­hil­fe kein ein­zi­ger Fall der Gewalt unter der Geburt bekannt ist:

Über die The­ma­tik von Gewalt in der Geburts­hil­fe wird erst seit kur­zer Zeit ver­mehrt berich­tet. Den Frau­en ist nach wie vor nicht klar, dass das, was sie erle­ben, so nicht hät­te pas­sie­ren müs­sen und bei­spiels­wei­se jede Inter­ven­ti­on in dem Geburts­ver­lauf nach­fol­gend wei­te­re Inter­ven­tio­nen nach sich zie­hen kann.

Moni­ka di Bene­det­to

Des­halb brau­che es Auf­klä­rung über die nor­ma­len kör­per­li­chen und see­li­schen Pro­zes­se rund um Schwan­ger­schaft, Geburt und Wochen­bett. Nur so kön­ne mit der Zeit eine Ver­än­de­rung in der gesell­schaft­li­chen Wahr­neh­mung pas­sie­ren, so Di Bene­det­to.

Aber auch dem medi­zi­ni­schen Per­so­nal sei nicht immer klar, was Gewalt unter der Geburt eigent­lich sei. “Es ent­steht erst ein­mal eine Abwehr­hal­tung und Recht­fer­ti­gungs­ver­hal­ten und es braucht die Bereit­schaft das eige­ne Han­deln zu reflek­tie­ren und die bestehen­den Struk­tu­ren zu hin­ter­fra­gen“, so Di Bene­det­to. Dabei sei­en oft gera­de Heb­am­men oder ande­re Fach­per­so­nen rund um die Geburt Zeu­ge oder unfrei­wil­li­ge Mit­tä­te­rIn­nen und könn­ten so eben­falls trau­ma­ti­siert wer­den. Die Bene­det­to ist es wich­tig, auf­zu­zei­gen, dass vor allem struk­tu­rel­le Pro­ble­me die Ursa­chen sind – und meist nicht der böse Wil­le einer Fach­per­son.

Die Bene­det­to sieht auch die spe­zi­el­le Zeit nach der Geburt als Mit­ur­sa­che dafür, dass kaum eine Frau die Kapa­zi­tä­ten hat, trau­ma­ti­sche Erfah­run­gen wirk­lich auf­zu­ar­bei­ten oder sich bei der Opfern­hil­fe zu mel­den. “Die Frau­en sind nach der Geburt nach wie vor in einer sen­si­blen Pha­se. Im Vor­der­grund steht erst­mal das Zurecht­kom­men im All­tag und die Neu­ori­en­tie­rung mit der neu­en Lebens­si­tua­ti­on. Neben Stil­len, Schlaf­man­gel und kräf­te­zeh­ren­den All­tag, feh­len häu­fig die Res­sour­cen für eine Aus­ein­an­der­set­zung oder gar einen Pro­zess gegen eine Kli­nik. Häu­fig kommt das Erleb­te erst zu einem spä­te­ren Zeit­punkt – bei­spiels­wei­se bei einer erneu­ten Schwan­ger­schaft – wie­der hoch und dann ist der Fokus dar­auf gerich­tet, dass die erneu­te Geburt mög­lichst bes­ser ver­läuft. Wir erle­ben es wenig, dass Frau­en aktiv gegen jenen Ort vor­ge­hen, wo Ihnen Gewalt wider­fah­ren ist”, sagt Di Bene­det­to.

Auch ich beob­ach­te ab und an, dass Frau­en wäh­rend der Geburt anders behan­delt wer­den. Einer­seits ist es wäh­rend der Geburt oft sehr schwer für Frau­en, sich und ihre Wün­sche mit­zu­tei­len. Ande­rer­seits kommt es aber auch immer wie­der zu Situa­tio­nen, in denen Frau­en trotz kla­ren Aüs­se­run­gen nicht ernst­ge­nom­men wer­den. So hat mir eine Kli­en­tin erlaubt, an die­ser Stel­le zu erzäh­len, wie sie vehe­ment sag­te, kein zusätz­li­ches Oxy­to­cin ver­ab­reicht bekom­men zu wol­len. Die Heb­am­me häng­te ihr die Infu­si­on mit den Wor­ten „Ja, ja. Das bekom­men sie frü­her oder spä­ter sowie­so“ an.

So vie­le Frau­en machen im Rah­men medi­zi­ni­scher Unter­su­chun­gen oder Inter­ven­tio­nen üble Erfah­run­gen. Ich kann mir nicht vor­stel­len, dass die ein­zi­ge Ursa­che dafür in den rou­ti­ne­mäs­si­gen Abläu­fen der Medi­zin liegt. Es über­rascht mich nicht, dass es in einem Umfeld, das sich auf Frau­en­kör­per kon­zen­triert und noch immer mehr­heit­lich in der Hand von Män­nern ist, geschlech­ter­spe­zi­fi­sche Gewalt häu­fig vor­kommt. Viel­mehr bin ich der Mei­nung, dass wir an den Nach­we­hen einer Zeit lei­den, in der Frau­en Hys­te­rie dia­gnos­ti­ziert wur­de, in der Gebä­ren­de in Rücken­la­ge betäubt und ihre Kin­der aus ihren Lei­bern geris­sen wur­den und in der Frau­en nie­mals an Uni­ver­si­tä­ten zu Ärz­tin­nen aus­ge­bil­det wur­den und Ärz­ten hörig zu begeg­nen hat­ten.

Und die­sen Nach­we­hen soll­ten wir nun begeg­nen.

Wir müs­sen Stop sagen.

Expli­zit ver­lan­gen, dass Kon­sent ein­ge­holt wird.

Wir müs­sen bei Unklar­hei­ten nach­fra­gen. Immer wie­der. Bis wir es ver­stan­den haben.

Und wir dür­fen uns immer weh­ren.

Denn es ist immer unser Kör­per.