Lieber alleine und doch voller Sehnsucht? // Lasst uns über Soziale Phobien reden

Die soziale Phobie ist eine der am weitest verbreiteten Angststörungen. Trotzdem spricht kaum jemand über die Angst vor anderen Menschen und das ständige Gefühl, von anderen beurteilt zu werden. Ich leide schon sehr lange an einer sozialen Phobie – eingestanden habe ich mir das aber erst, als ich mich als Mama zu isolieren begann.

Dass ich an einer sozialen Phobie leide, wurde mir erst bewusst, als meine Psychiaterin mir riet, das geplante Treffen mit Arbeitskollegen abzusagen. Ich solle mich nicht noch zusätzlich unter Druck setzen mit Gedankenspiralen darüber, was ich dort sagen würde, ob ich dem Gespräch folgen könne, was man von mir denken würde. Bisher hatte ich angenommen: Solche Gedanken sind normal, solche Unsicherheiten habe jeder. Und in gewisser Weise habe ich recht, denn – eine der häufigsten Angststörungen ist die Soziale Phobie.

Ich weiss nicht, wann ich diese unheimliche Unsicherheit gegenüber anderen entwickelte, aber ich dürfte zwischen sieben und acht Jahren alt gewesen sein. In der Schule war ich nicht besonders beliebt, ich isolierte mich deshalb selbst von den anderen. Wollte lieber nichts mit ihnen zu tun haben, um ihrer Ablehnung mir gegenüber zuvorzukommen. Ich erinnere mich gut an einen Geburtstag einer Mitschülerin: Alle Mädchen waren eingeladen. Ausser ich. Mich holte meine Mutter an diesem Tag in der Schule ab, weil ich irrsinnige Kopfschmerzen hatte. Eine einzige Freundin hatte ich, an der ich wie Kaugummi am Schuh klebte. Nur etwas tat ich ohne sie – ich war bei den Pfadfindern.  

Und dort, in der Pfadi, hatte ich niemanden. Ich hatte furchtbare Angst davor, dass man mich genau so wenig mochte, wie in der Schule. Dass Mädchen aus meiner Klasse in derselben Gruppe waren, begründete diese Angst. Retrospektiv glaube ich, dass es sich hier um eine selbsterfüllende Prophezeiung handelte: Ich trat den anderen Pfadfinderinnen so unsicher entgegen, dass ich sehr schnell zum Prügelknaben wurde. Ich hasste Gruppenspiele, denn dort war ich die letzte, die in eine Gruppe gewählt wurde. Ich fürchtete mich vor Lagern, denn dort gab es viel zu viel Zeit, in der es auffallen würde, dass ich alleine war. 

Wenn ich mich zurückerinnere, dann gibt es keine Zeit in meiner Kindheit und Jugend, in der ich mich zugehörig fühlte. Ich hatte immer wieder einzelne Freundinnen, aber Gruppen mied ich. Ich fühlte mich in Gruppen immer fremd, fand ihre Dynamiken grausam und unecht. Fürchtete mich, einmal gemocht und dann wieder fallen gelassen zu werden. Fast alle der wenigen Freundschaften, die ich hatte, verlor ich. An Psychosen, an Suizid, an die Zeit. Diese Verluste nahmen mir das Vertrauen in die Beständigkeit von Freundschaften und ich verlor das Bedürfnis, neue Leute wirklich an mich heranzulassen. 

Als junge Erwachsene hörte ich sehr oft, ich sei arrogant – etwas, was mich zum einen verletzte und zum anderen enorm unverstanden fühlen liess. Die Kombination, die fälschlicherweise als Arroganz wahrgenommen wurde, bestand aus einer Optik und einem Innenleben, die nicht zueinander passten. Ich war hübsch und unglaublich unsicher. Etwas, was mir viele Leute einfach nicht abnehmen wollten. 

Und so wurde ich erwachsen und verstand immer mehr, dass ich es ein Stück weit selbst in der Hand hatte, wie ich wahrgenommen wurde. Mein Mantra bestand darin: Sei nett und niemand wird dich einfach so hassen – sei doppelt nett, dass dich niemand für arrogant hält. Ich versuchte also nett zu sein zu den Menschen in meinem Umfeld und ja – es ging mir besser. Im Studium fand ich Anschluss, in meinem ersten Arbeitsteam eine kleine Familie. Auch damals dachte ich noch sehr oft darüber nach, wer mich wahrscheinlich nicht mochte, aber ich versuchte mich abzugrenzen. Und oft gelang mir das.

Allerdings machte mir der Hass im Netz, der mir als Journalistin entgegengeschwemmt wurde, zu schaffen. Nicht selten bekam ich nach veröffentlichten Artikeln bitterböse Nachrichten, wurde beschimpft oder fand meinen Namen in den Sozialen Medien wieder, versehen mit Seitenhieben. Hier redete ich mir ein: Als Journalistin musst du mit so etwas rechnen. Du bist stark, das macht dir nichts aus. Aber ich belog mich selbst: Es machte mir viel aus, so viel, dass mich kurz nach einem heftigen Shitstorm im Netz Panikattacken heimsuchten. Ich hatte Anfälle, in denen ich Todesangst hatte, Angst, zu ersticken. Angst vor der Angst. 

In der Schwangerschaft wechselte ich zu einem neuen Arbeitgeber und kehrte nach der Mutterschaftspause zurück in ein neues Team, das ich noch nicht gut kannte. Alle waren sehr lieb zu mir, ich wurde sofort ins Team einbezogen, und trotzdem – ich schaffte es schlechter als zuvor, meine Angst abzulegen. Zeitgleich wurde bei mir eine Autoimmunkrankheit diagnostiziert, weshalb ich mir heute sicher bin, dass meine soziale Phobie mit meiner allgemeinen Verfassung korreliert. Die Angst steigerte sich ins Unendliche, bis an den Punkt, an dem ich keine geraden Sätze mehr rausbekam, wenn ich angesprochen wurde. Ich begann, mir Sätze in meinem Kopf zurechtzulegen, um sie dann aussprechen zu können. Und während ich sie aussprach, wurde ich so unsicher, ob es wirklich das war, was ich hatte sagen wollen, dass ich den Satz abbrach, mich verhaspelte oder nicht auf den Punkt kam. 

Das war der Punkt, an dem mir meine Psychiaterin riet, nicht zum Teamessen zu gehen. An dem ich krankgeschrieben wurde. An dem ich mich zunächst einmal auf meine Krankheit und dann zu einem späteren Zeitpunkt um mein Sozialleben kümmern sollte. An dem ich verstand, dass meine Angst unverhältnismässig war und vor allem mein Leben beeinflusste. Ich beschloss, mich mit dem Thema auseinanderzusetzen und vor allem: Nicht zu schweigen. 

So fragte ich meine Follower auf Instagram, ob jemand ebenfalls betroffen ist. Und ich bekam viele Nachrichten. Viele. Von einigen erhielt ich die Erlaubnis einige Quotes zu publizieren (an dieser Stelle vielen Dank!):

Im Hort habe ich die erste Woche gar nichts gesagt, aus lauter Angst, etwas Doofes oder Unpassendes zu sagen. So hat die Hortleiterin meine Mutter angerufen und gefragt, ob ich taubstumm sei.

Ich habe keine Freunde. Und ich habe Angst, dass das andere merken.

Ich finde es sehr stressig unter Leuten zu sein, deshalb lass ich es auch, wenn ich kann.

Sobald ich in einer Gruppe bin, verstumme ich und wenn ich dann doch etwas sage, überlege ich mir im Nachhinein tausendmal wie das wohl angekommen ist.

Diese Angst bestimmt mein Leben so sehr, dass ich oft nicht weiss, wie lange ich noch durchhalte.

Es macht sehr müde, das alles. Und manchmal will ich mich einfach nur verkriechen. Aber der Alltag bleibt und den gilt es zu meistern.

Es ist traurig, dass mich so viele Nachrichten erreicht haben. Trotzdem hat es mir auch gezeigt, dass ich mit meinen Empfindungen nicht alleine bin. Gegen die soziale Phobie kann man auch etwas unternehmen: Psychotherapie helfe sehr gut, hat man mir erklärt. Eine liebe Bekannte arbeitet am Ambulatorium für Kognitive Verhaltensmedizin. Dort kann man sich in delegierte Psychotherapie begeben, deren Kosten von der Krankenkasse übernommen werden.

Mir hat ein Buch enorm weitergeholfen. Es half mir, mich und meine Unsicherheit zu hinterfragen und meine Mitmenschen zu Entmachten. Denn eigentlich brauche ich ihre Liebe nicht. Eigentlich brauche ich ihre Anerkennung nicht. Also höre ich auf, nach dieser zu suchen. Und beginne es auszuhalten, wenn mich jemand blöd findet oder als arrogant bezeichnet. Ich erkenne langsam, dass Selbstliebe die einzige Waffe gegen diese ständigen schlechten Gedanken ist. Und: Dass ich meinen eigenen Gedanken nicht immer alles glauben muss.

Das Buch, das ich allen ganz fest ans Herz lege, die verzweifelt nach Anerkennung durch andere suchen: „Ich brauche deine Liebe – ist das wahr?“ von Byron Katie.