Das Baby ist da. Grund zur Freude für einen selbst, aber bei den Freunden ist die Lage eine andere. Die, die schon Mamas in ihrem Umfeld haben, wissen, dass es jetzt vorbei ist, mit den Kaffeekränzchen, mit dem Feiern, mit den Wochenendtrips. Die, die das noch nicht kennen, durchleben eine eigene Geburt: Sie kommen ganz schön auf die Welt, wenn sie im ersten Lebensmonats des Babys mit Prosecco bei ihrer lieben Freundin im Wochenbett vorbeischauen. Der Mama selbst geht es dabei nicht viel besser.
Bevor mein Sohn auf die Welt kam, fasste ich ganz fest den Vorsatz, keine dieser Mütter zu werden, deren Gesprächsthemen sich auf Kinderkacke und entzündete Nippel beschränkt. Keiner dieser Mamas, die mit dem Kopf nicht bei der Sache sind. Ich wollte meine Freundinnen die Freundin sein, die sie verdienten. Nachfragen, was bei ihnen anstand, zuhören. Und dann kam das Kind.
In den ersten vier Monaten empfand ich jede Verabredungen als Tortur und Pflicht. Abends war ich unglaublich froh, spätestens um neun Uhr ins Bett zu kommen und sah meine rare Zeit des erholsamen Schlafes bedroht, wenn noch ein Freund meines Mannes auf ein Bier vorbeischaute. Alle wollten uns besuchen. Alle liessen uns wissen, dass sie es „möglichst unkompliziert halten“ wollten. Alle blieben sie dann aber zum Essen, zu einer weiteren Flasche Wein, zum Absacker. Bis das Baby zu schreien begann und sich die nächsten zwei Stunden nicht beruhigen liess.
Meine Freundinnen sah ich wenig. Am liebsten traf ich sie zu einem kurzen Spaziergang, den ich jederzeit unterbrechen konnte, um nach hause zu flüchten. Nicht, dass ich meine Freundinnen nicht mehr sehen wollte. Sie fehlten mir. Aber es fehlte mir auch, Teil ihrer Welt zu sein. Es fehlte mir, zusammen mit ihnen spontan noch in eine weitere Bar zu können. Mit ihnen zu feiern. Ich hatte das Gefühl, dass sich eine unsichtbare Wand zwischen uns erhoben hatte. Ich blickte durch diese Scheibe, wie eine Schlange im Zoo die Besucher beobachtet, die an ihr vorbeigehen, zurück in ihr aufregendes Leben. Ich blieb, das Baby mit meinem Leib umschlungen.
Die meisten meiner Freundinnen waren geduldig und unsere Freundschaft überstand das erste halbe Jahr. Mein Sohn wurde einfacher, umgänglicher. Nun konnte ich länger als eine Stunde das Haus verlassen, ohne mich davor zu fürchten, dass er schreiend und knallrot angelaufen der Welt bewies, dass ich nicht im Stande war, ihn zu beruhigen. Ich lud also wieder Leute ein, zu uns nach hause, in meine kleine Chaos-Welt. Und ich hatte wieder Zeit, über Freundschaften nachzudenken. So bemerkte ich, dass einige Leute meines alten Leben fehlten.
Einige dieser Leute hatte ich früher als Freunde bezeichnet. Nun, da ich sie seit der Entbindung nicht gesehen, ja nicht einmal gehört hatte, wurde mir klar, dass man diesen Begriff viel zu leicht benutzt. Wieso war es mir früher so wichtig gewesen, viele Freunde zu haben? Oder zumindest, viele Leute als Freunde zu bezeichnen? Hatte ich nicht tief in mir drinnen immer gewusst, dass viele Leute, mit denen ich Zeit verbrachte, nicht wirklich an mir interessiert waren, sondern lediglich nicht gerne allein waren? Natürlich war ich am Anfang enttäuscht. Enttäuscht darüber, dass keiner dieser Freunde im Wochenbett vorbeikam. Keiner dieser Leute Anteil an meinem Leben nahm. Und dann Begriff ich, dass mein Leben eine eigentlich grossartige Wendung genommen hatte.
Sehr natürlich offenbarten sich wahre Freunde als diesolchen. Und sehr einfach verschwanden unnötige und oberflächliche Beziehungen aus meinem Leben. Komplett ohne Groll denke ich heute an diese Leute zurück, an den Spass, den wir gemeinsam hatten und an den Punkt, an dem unsere Leben in verschiedene Richtungen verliefen. Nicht jede Beziehung, der man den Titel Freundschaft verleiht, muss lebenslänglich geführt werden.
Und dann waren plötzlich wieder Leute da, um die ich mich viel zu wenig gekümmert hatte. Von denen ich es nicht erwartet hätte, dass sie sich wieder melden, dass sie den Kontakt wieder aufnehmen würden. Eine alte Freundin meldete sich gerade wegen meines Kindes wieder bei mir: Weil sie wusste, dass unsere Leben nun wieder kompatibler waren. Und sie hatte recht. Und ich habe eine wunderbare neue Freundin gefunden, deren Tochter beinahe gleich alt ist, wie mein Sohn. Natürlich verbinden uns unsere Kinder, aber wäre sie nicht so ein aufgestellter Badass mit starkem Charakter, würde ich mir Ausreden für die Kaffeekränzchen einfallen lassen.